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Beginn Restaurierungsprojekt: Herbst 2015
Ausstellungsprojekt: Mai – Oktober 2017

Als der Ablasshändler Johann Tetzel 1517 in Frankfurt (Oder) einzog, wurde er in der Stadt freudig begrüßt. Hier, an der neu gegründeten Universität, entstanden die Gegenthesen zu Luthers 95 Thesen und Frankfurt wurde zunächst zum „Antiwittenberg“. Nach dem Übertritt des kurfürstlichen Landesherrn zum Luthertum, entwickelten sich die Universität und die Stadt nach 1539 jedoch zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt der Reformation – vorbereitet und getragen durch eine selbstbewusste Bürgerschaft, die sich schon sehr früh zum Luthertum bekannt hatte.


Die Spuren dieser überregional bedeutsamen Ereignisse werden nun zum 500. Jubiläum der Reformation wieder sichtbar gemacht. „Bürger, Pfarrer, Professoren - St. Marien in Frankfurt (Oder) und die Reformation in Brandenburg“ lautet der Arbeitstitel des groß angelegten Ausstellungs- und Restaurierungsprojektes, das von der Stadt und der Evangelischen Kirchengemeinde Frankfurt (Oder) gemeinsam getragen wird. Die Ausstellung verknüpft die Aktivitäten des Landes Brandenburg und der Evangelischen Landeskirche zum Reformationsjubiläum und soll gemeinsam mit der zentralen Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) eine überregionale Erschließung des Themas „Reformation in Brandenburg“ leisten. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die historische Pfarr- und Universitätskirche St. Marien mit ihren spätmittelalterlichen und reformationszeitlichen Kulturschätzen. An keinem anderen Ort in der 1945 schwer zerstörten Stadt kann man die mittelalterliche und reformationszeitliche Bedeutung Frankfurts als einem geistigen und kulturellen Zentrum, das über Brandenburg hinaus strahlte, noch so anschaulich nachvollziehen wie in der Marienkirche mit ihrer grandiosen Architektur. Berühmt sind die 2002 aus der ehemaligen Sowjetunion zurückgekehrten mittelalterlichen Glasmalereien. Weit weniger bekannt, aber ebenso bedeutend, ist die übrige Ausstattung, die ausgelagert die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überlebte und sich heute in der Gertraudenkirche befindet: Altäre, Skulpturen, Goldschmiedewerke, mittelalterliche Handschriften und reformationszeitliche Drucke sowie ein großer Bestand an spätmittelalterlichen und reformationszeitlichen Epitaphgemälden für bedeutende Frankfurter Bürger. Ausgeführt von dem kurfürstlichen Hofmaler Michael Ribestein offenbaren etwa die reformationszeitlichen Epitaphien das Ringen des Künstlers um neue ‚protestantische‘ Ausdrucksformen ebenso wie die Gedanken, religiösen Hoffnungen und Bekenntnisse ihrer Auftraggeber. Mit den Epitaphien, d. h., Werken, die ausdrücklich dem Gedächtnis der Verstorbenen gewidmet waren und oftmals deren Porträts tragen, blieben ihre Stifter gegenwärtig im Kirchenraum und damit in der Mitte der Stadtgemeinschaft. Gemeinsam mit den anderen Ausstattungsstücken bilden die Epitaphgemälde heute einen kulturellen Erinnerungsschatz von einer weit über Frankfurt hinausreichenden Bedeutung.


Die Ausstellung wird an drei Standorten zu sehen sein: in der Stadt- und Universitätskirche St. Marien, der Gertraudenkirche und dem städtischen Museum Viadrina. Aufmerksamkeit soll aber auch für weitere historische Orte im Frankfurter Stadtraum geschaffen werden: Angedacht ist eine Markierung und informative Erschließung wichtiger Gebäude des Mittelalters und der Frühen Neuzeit wie die Kirchen und das Rathaus. Die Ausstellung will die historischen Vorgänge und städtischen Verhältnisse des Spätmittelalters und der Reformationszeit in Frankfurt aus einer personengeschichtlichen Perspektive schildern. Im Fokus stehen wichtige Personen aus der Frankfurter Bürgerschaft und dem Universitätsleben – eben jene, die sich mit der Stiftung von Epitaphien verewigten oder auf andere Weise mit dem Frankfurter Reformationsgeschehen und auch der Marienkirche und ihren Kulturgüterbeständen verbunden sind. Viele dieser Kunstwerke waren bisher für die Öffentlichkeit kaum zugänglich. Obendrein ist ein Großteil des Kunstbestandes in einem sehr schlechten konservatorischen Zustand gewesen, den Folgen des Zweiten Weltkriegs geschuldet. So waren viele der Gemälde provisorisch mit Japanpapier beklebt, um die sich lösenden Schichten ihrer Bemalung vor dem Abfallen und damit dem endgültigen Verlust zu bewahren. Die kunstvoll geschnitzte Bekrönung des mittelalterlichen Hochaltares, der einst der zweitgrößte Ostmitteleuropas war (nach dem berühmten Marienaltar von Veit Stoss in Krakau), lag seit 1945 in Stücken. Das Projekt zum Reformationsjubiläum ermöglichte die einmalige Chance, diese Werke zu retten, zu restaurieren und zu erschließen und sie so in das Gedächtnis Frankfurts und der Öffentlichkeit zurückzuholen. Deshalb waren dem Ausstellungsprojekt ein umfangreiches Restaurierungsprojekt und eine Spendenaktion zu dessen Finanzierung vorgeschaltet. Die Spendenaktion, die bereits im Vorfeld der Ausstellung mit bürgerschaftlichem Engagement auch einen Identifizierungsprozess mit dem kulturellen Erbe der Frankfurter Marienkirche gewinnen konnte, wurde unterstützt von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Oder-Spree. In Frankfurt (Oder) besteht in besonderem Maße die Chance, die Reformation als ein wesentlich stadtbürgerlich geprägtes Ereignis nicht nur historisch zu erforschen, sondern auch auf ihr Anknüpfungspotential für heutige städtische Gesellschaften zu überprüfen. So ist zu fragen: Wie gehen wir heute – Kirchengemeinde und säkulare Stadtgesellschaft gemeinsam – mit einem zentralen Kirchengebäude um, das für das Erscheinungsbild und die historische wie gegenwärtige Identität der Stadt prägend ist? Welche Nutzungs- und Identifikationsprozesse und welche Erinnerungskulturen verbinden sich damit?